Boas, Franz
Franz Boas wurde am 9. Juli 1859 in Minden als Sohn einer jüdischen Kaufmannsfamilie geboren. Von 1883 bis 1886 arbeitete er in Berlin am Museum für Völkerkunde. Nachdem er 1883 seine erste Expedition in die Arktis durchgeführt und Material für das Museum für Völkerkunde gesammelt hatte, verließ er nach seiner Habilitation 1886 Berlin, um in die USA überzusiedeln. Dort wurde er zum Begründer der amerikanischen Ethnologie und hatte großen Einfluß auf die Entwicklung dieser Wissenschaft.
Bekannt wurde Boas durch seine Erforschung von Wildbeutergesellschaften der Indianer an der Nord-Nordwestküste der USA und Kanadas. Besonderes Augenmerk widmete er dabei den Kwakiutl. Als er diese studierte, fiel ihm die Unstimmigkeit mit der von Lewis Henry Morgan vertretenen Theorie des Evolutionismus auf. Morang zufolge stellten Wildbeutergesellschaften (Jäger und Sammler) immer die unterste Entwicklungsstufe dar mit einem harten Dasein ohne Luxus, wo nur der tägliche Kampf ums Überleben herrsche. Bei den Kwakiutl jedoch fand Boas eine ganz andere Situation vor. Diese waren zwar Wildbeuter, aber dennoch sesshaft. Sie führten ein angenehmes Leben mit reichlich Nahrung durch den Lachsfang an der Küste. Diese Indianer der Nord-Westküste hatten so viel, dass sie es verschenken oder gar zerstören konnten - nämlich beim Potlatch, einer Zeremonie des Gabentausches.
Boas’ Erfahrungen bei den Kwakiutl hat die Anthropologie über viele Generationen beschäftigt. So sind seine Forschungen über den Potlatch der Kwakiutl von Thorstein Veblen (Theorie des demonstrativen Konsums) und Marcel Mauss (Theorie des Geschenks) ausgiebig genutzt worden. Er beeinflusste auch den französischen Philosophen und Ethnologen Claude Lévi-Strauss, der ihn während seines Exils in New York 1942 mehrfach traf.
Als gesellschaftlich und politisch engagierter Wissenschafter engagierte sich Boas für die Rechte der Indianer, der Afroamerikaner und nicht zuletzt auch für die Rechte der europäischen Immigranten. Beeinflusst von den Ideen Humboldts und der Aufklärung im Allgemeinen, entwickelte Boas seine wissenschaftlichen und philosophischen Perspektiven und Methoden. Als einer der ersten sprach Boas von Kultur(en) im Plural. Damit verabschiedete er sich von einem essentialistischen Kulturkonzept. Noch im hohen Alter verwehrte sich Boas gegen den wissenschaftlichen Rassismus und den damit einhergehenden Rassenwahn der Nationalsozialisten in Deutschland.